Eine soziale Perspektivlosigkeit
Gedanken über meine momentane Gefühlswelt
Ich frage mich, wie das passieren konnte.
Eine ganze Welt steht still.
Das soziale Leben existiert so gut wie nicht mehr.
Viele Möglichkeiten wurden uns entzogen.
Das öffentliche Leben zieht unzählige Schranken.
Uns fehlt die Perspektive.
So geht es jedenfalls mir.
Wenn ich an die nächsten Wochen denke.
Perspektivlosigkeit.
Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Ich habe keine Termine mehr.
Keine Treffen, auf die ich mich freue.
Geburtstagsfeiern fallen ins Wasser.
Ich darf nicht zur Arbeit geben.
Kann mich nicht einfach ins Café setzen.
Bei Regen mit unseren Kindern ins Hallenbad gehen.
Unseren Pfingsturlaub haben wir bereits storniert.
Treffen mit Freunden aus Berlin und Bern werden wir wohl verschieben müssen.
Es ist so perspektivlos.
Weil keine*r weiß, wie lange das alles gehen wird.
Ich bin perspektivlos.
Perspektivlosigkeit.
Vor ein paar Wochen hätte ich nicht gedacht, dass dieses Wort mein Leben so gut beschreiben wird.
Ich war eher naiv.
Dachte, das wird schon vorbeigehen.
Aber die Krise ist nun da.
Unsichtbar.
Ein Virus.
Aufhaltbar nur durch gesellschaftliche Restriktionen.
Durch das „Zuhause bleiben“.
An das man sich halten sollte.
Was aber immer noch nicht von allen ernst genommen wird.
Weil es schwer ist.
Man nur seine eigene Lage sieht.
Ich möchte gerne jammern.
Habe jeden Tag mehrere Tiefs.
Mein Mann motiviert mich.
„Jammern hilft auch nicht weiter.“
Und er hat Recht.
Wir suchen uns Projekte.
Ich habe mir eine Corona-Liste angelegt.
Mit Dingen, für die man sonst keine Zeit hat.
Manche funktionieren im Alltag mit Kleinkindern.
Vorausgesetzt sie beschäftigen sich alleine.
Laufen mir nicht die ganze Zeit hinterher.
So dass ich kaum Luft zum Atmen habe.
Keine ruhige Minute.
Ich liebe meine sonstige Freiheit.
Die mir jetzt wieder genommen wurde.
Ich liebe meinen normalen Alltag.
Der jetzt nicht mehr existiert.
Ich genieße nun meine Zeiten in unserem Büro.
Wenn ich etwas für die Schule machen kann.
E-Mail-Kontakt mit meinen Schüler*innen.
Beratungsgespräche via Telefon.
Ich genieße, dass die Sonne scheint.
Dass wir einen Balkon haben.
Mit Sand und bald auch einer Matschküche.
Ich genieße, dass ich meinen Mann habe.
Mit dem ich mich austauschen kann.
Von dem ich keine zwei Meter Abstand halten muss.
Ich genieße, dass ich weiterhin einen bezahlten Job habe.
Und merke, dass es mit gut geht.
Trotz der ganzen Situation.
Trotz der Perspektivlosigkeit.
Dass ich privilegiert bin.
Und eigentlich wirklich kein Recht zu Jammern habe.
Weil ich keine Existenz-Angst haben muss.
Mein Job mir erstmals sicher ist.
Weil ich nicht mit noch sechs anderen Familienmitgliedern in nur zwei Zimmern ohne Balkon leben muss.
Wie wahrscheinlich viele Familien in der Stadt.
Weil ich gesund bin.
Keine Risikopatientin.
Weil ich nicht alleine bin.
Meine Familie habe.
Und ich merke, dass es wieder mal auf den Blickwinkel ankommt.
Und dass es genau jetzt wichtig ist, auf andere zu achten.
Wo und wie kann ich helfen?
Wen kann ich unterstützen?
Was kann ich machen, um für andere da zu sein?
Ein paar Ideen habe ich.
Die Möglichkeiten sind stark begrenzt.
Der verbotene soziale Kontakt schränkt so sehr ein.
Wir sind erst in Woche zwei der „Quarantäne“.
Mit verschärften Maßnahmen.
Einkaufen wird zum Highlight.
Aber es ist eine komische Stimmung.
Wie Aussätzige umrunden wir uns.
Ich meide Blickkontakt, weil ich denke, wir stecken uns an.
Meine Hände sind rissig vom Händewaschen.
Ich sehe das Leben aus einer anderen Perspektive.
Fühle mich eingesperrt.
Aber weiß mich sicher in meinen vier Wänden.
Was leider auch nicht jede*r von sich behaupten kann.
Ich bin gespannt, wohin das alles führen wird.
Habe Angst davor.
Fühle mich perspektivlos.
Weil man nicht weiß, wie lange das alles gehen wird.
Wie lange man keine Menschen treffen darf.
Die Ausgangsbeschränkung besteht.
Die Schule geschlossen bleibt.
Ich will aber zuversichtlich sein.
Gerade in dieser Situation.
Festhalten an dem was ich habe.
Meine Privilegien wertschätzen.
Beim Jammern an andere denken.
Denen es wirklich schlecht geht.
Perspektiven geben.
Inseln schaffen.
Highlights generieren.
In Kontakt bleiben.
Hilfe anbieten.
Freude weiterschenken.
Weiter am Leben festhalten.
Lieben.
4 Kommentare
Jule
Hallo Esther,
Du sprichst mir aus der Seele. Die Perspektivlosigkeit und auch die Unzufriedenheit, dass Corona plötzlich einfach meinen Alltag umgestaltet. Alles anders als gedacht und gewünscht. Plötzlich mit einer unausgeglichenen 3-Jährigen und einem Neugeborenen zuhause. Das Gefühl, dass beide zu kurz kommen. Ganz zu schweigen von meinen Bedürfnissen.
Dazu die Kommentare anderer Mütter: Ich war auch allein zuhause mit 2 Kindern…
Aber waren sie wirklich so allein wie jetzt? Ohne Oma/Opa im Background? Ohne die Möglichkeit sich mit einer Freundin auf einen Kaffee treffen oder dass sich die Große auf dem Spielplatz auspowern kann?
Ich freue mich, wenn irgendwann wieder Normalität einkehrt auch wenn es durchaus schöne Momente gibt, die es ohne „Quarantäne“ womöglich nicht so geben würde.
Damaris
Hallo Esther!
Ja, ich kenne deine Gedanken! Mit drei Kids zu Hause. Ich bin dankbar das Timo öfters da ist.. und wiederum mach ich mir Sorgen weil er somit Verdienstausfall hat.
Was ist jetzt besser?
Auf jeden Fall der Alltag mit Kindi und wenn Timo seine Autos verkauft. Meine Tochter hat erst heute gesagt das sie es soo langweilig findet ohne Kindi. Und heute Abend hat sie gebetet das die Coronakrankheit aufhört damit sie wieder Freunde treffen kann.
Für die Kids ist das auch schlimm.
Für uns auch. Ich vermisse echt auch alle und meine Nerven liegen manchmal blank.
Was machen wir jetzt mit der Situation?
Ich nehme mir vor jeden Tag zu Jesus zu gehen, ihm alles hinlegen. Er sagt in Matthäus 11,28: „Kommt her zu mir alle die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ So ein bekannter Vers und er passt so!
Lassen wir doch Corona nicht unsre ‚Krone‘ sein, sondern Jesus unsre Krone! Auch in diesen sorgenvollen Zeiten ihn an erster Stelle setzen.
Und es wird weiter gehen! Ganz gewiss!
Wir müssen jetzt einfach stark sein und durchhalten!
Aber wir Menschen sind stark beim durchhalten! Wir schaffen das!
Und Du schaffst es auch! Gott ist mit dir!!
Siehe Psalm 91 und 121
Ich gehe mit den Kids jeden Nachmittag raus. ( innerhalb der Familie ist es ja erlaubt) Wir waren jetzt zweimal hintereinander auf dem Hörnleskopf. Dort gibts beim Spielplatz ein Kletterbuckel der net umzäunt ist und oben auf dem Hörnleskopf im Wald eine Höhle. Kannst dich an die noch erinnern? Es waren wunderschöne Nachmittage mit toller Aussicht! Das kannst auch mal machen! ( und zufällig triffst deine Mama am Gipfel 😉mit Abstand natürlich)
Grüße dich und Kopf hoch!!
Tabea
Liebe Esther,
ja, es ist nicht einfach, dass plötzlich alles anders ist. Wer hätte das vor ein paar Wochen noch gedacht?
Wir selber sind wirklich privilegiert mit Garten und Haus und unsere Kinder sind jetzt schon größer. Trotzdem bin ich immer ansprechbar.
Es tut uns aber auch gut, denn das Leben entschleunigt sich. Weniger Termine – mehr Zeit als Familie.
Ich bin dankbar für Telefon, Skype, WhatApp…. Kontakte halten mit Freundinnen – auch wenn es nicht im Cafe oder beim Frühstückstreff ist.
Und ich bin so dankbar, dass Jesus da ist, ER, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.
Heute Morgen habe ich Psalm 27 studiert und folgendes dazu aufgeschrieben:
Psalm 27 enthält so viele Schätze wie Gott ist!
Gott ist:
– Licht
– Rettung
– Zuflucht
– Freundlich
– unser Schutz
– Gnädig
– Er hört
– unsere Hilfe
– Allgegenwärtig
– Wegweiser
– Wegbereiter
– Güte
– unsere Hoffnung
Es beschreibt auch uns, wie wir in der Beziehung mit Gott sein sollen:
– Ich habe keine Angst
– Ich bin voll Zuversicht
– Ich habe Sehnsucht Gott nahe zu sein alle Tage
– Ich erhebe mein Haupt
– Ich juble
– Ich singe und spiele
– Ich suche Gottes Angesicht
– Ich hoffe auf Gott
– Ich bin unverzagt
– Ich bin stark im Herrn
Welche großartigen Zusagen!
Drück dich herzlich!
Deine Schwester
Sarah
Liebe Esther,
auch wenn traurig darüber bin, dass ich nicht arbeiten kann, keine Freunde treffen soll, meine Sportkurse entfallen und ich unserer Familien vermisse, schäme ich mich dafür, wenn ich anfange mich zu beklagen. Denn wenn ich die Zeitung aufschlage oder Nachrichten schauen, dann sehe ich Menschen, die jetzt wirkliche Probleme haben:
– Angst um den eigenen Betrieb, die eigene Existenz und die der Mitarbeiter
– Sorge um den Arbeitsplatz
– Finanzielle Sorgen, weil durch unbezahlten Urlaub oder Kurzarbeit Geld fehlt und man nicht weiß wie man die Miete im kommenden Monat bezahlen soll!?
– Landwirte denen Gastarbeiter fehlen, weil sie nicht einreisen können. Sie wissen nicht wie sie ihre Felder bestellen sollen und wer z.B. den Spargel ernten soll.
– Die Gastarbeiter, die nicht einreisen dürfen und die normalerweise in den nächsten Wochen das Jahresgehalt für die ganze Familie in Deutschland bei Knochenarbeit auf unseren Feldern verdienen.
– Pflegekräfte aus Osteuropa, die nicht einreisen können, um unsere alten Menschen zu pflegen.
– Ältere Menschen, die jetzt einsam in Pflegeheimen oder Krankenhäusern sitzen, weil sie keine Besuch empfangen dürfen.
– Hochschwangere Frauen, die wahrscheinlich ohne den Partner in den Kreißsaal müssen.
– Kinder und Frauen, die mehr häusliche Gewalt fürchten müssen und weniger Hilfe finden.
– Menschen, die auf Tafelläden angewiesen sind oder Obdachlose, die keinen Schutz vor Infektion finden, weil die Obdachlosenheime (sowieso) überfüllt sind?
– Überfüllte Flüchtlingslager in Griechenland, Bosnien, Türkei…. Was passiert, wenn sich dort Corona ausbreitet?
Diese Liste könnte man unendlich weiterführen….
Und ich will mich beklagen? Ich? Die in einem Haus mit Garten sitzt, deren Gehalt weitergezahlt wird und deren einziges Problem ein bisschen weniger Freiheit, Sozialkontakte und Abwechslung ist?!
Gott sei Dank, dass es mir so gut geht!
Liebe Grüße
deine Sarah