Ein Kopf voller Gedanken

Die Wut in mir

Gedanken über die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Krise

Ich bin wütend.

So furchtbar wütend.

Ich weiß, das ist nicht schön.

Ist auch kein dauerhafter Zustand.

Aber momentan bin ich es.

Und meine Wut muss raus.

Deshalb schreibe ich.

Um sie loszuwerden.

Ruhiger zu werden.

Wütend zu sein wird nicht gern gesehen.

Vor allem nicht wenn man eine Frau ist.

„Das ist frau einfach nicht.“

Höre ich schon von überall rufen.

Aber ich finde es darf sein.

Jede und jeder hat das Recht, wütend zu sein.

Sich gegen etwas aufzulehnen.

Etwas zu hinterfragen.

Lange Zeit habe ich nichts mehr dazu geschrieben.

Weil ich irgendwie müde bin.

Ich es leid war.

Und zu viel Widerstand kam.

Ich auf Unverständnis gestoßen bin.

Aber ich kann nicht wegsehen.

Nicht ignorieren was Realität ist.

Dass wir in einer patriarchalischen Gesellschaft leben.

Dass Männer und Frauen NICHT gleichberechtigt sind.

Dass Frauen meistens sehr viel mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer.

Viel mehr Care- (Kümmer-) Arbeit.

Dass diese Corona-Krise die Frauen oft härter trifft als die Männer.

Wenn du nun nicht mehr weiterlesen willst, dann ist das ok.

Denn es könnte weh tun.

Für dich und für mich.

Vor allem wenn man diesen Text nicht differenziert liest.

Nur schwarz und weiß zulässt.

Denn das soll er nicht sein.

Mir ist natürlich bewusst, dass es die unterschiedlichsten Situationen gibt.

Und dennoch werden die Möglichkeiten die es gibt oft nicht ausgereizt.

Und dann ruht man sich darauf aus, dass es halt einfach so ist wie es ist.

Lies diesen Text also bitte differenziert.

Denke darüber nach, verwerfe, nimm an, ignoriere.

Ich rechne jedenfalls mit (gedanklichem) Shitstorm.

Mit Unverständnis und Belächeln.

Du kannst jetzt aufhören zu lesen.

Es ist deine Entscheidung.

Aber vielleicht verstehst du auch warum ich so wütend bin.

Ich selbst verstehe manchmal nicht, warum nicht noch mehr Menschen wütend sind.

Warum diese Ungerechtigkeit so oft ignoriert und verharmlost wird.

Überlege dir einmal, wie viele Frauen derzeit unter dieser Krise leiden.

Und dann wie viele Männer.

Vor allem wenn sie Kinder haben.

Na?

Ist dir etwas aufgefallen?

Mir schon.

Ich sehe viele Frauen leiden.

Weil so vieles derzeit an ihnen hängen bleibt.

Mehr noch als bisher.

Diese Krise zeigt noch deutlicher, wie ungerecht die Aufgaben verteilt sind.

Wie viel Arbeit die Frauen sowieso schon machen.

Und dass nun die ganzen zusätzlichen Aufgaben auch noch an ihnen hängen bleiben.

Wer kümmert sich denn nun um die ganzen KITA- und Schulkinder?

Wer betreut das Homeschooling?

Wer steckt in der eigenen Erwerbsarbeit zurück?

In der eigenen Freizeit?

Wer versucht alle Dinge am Laufen zu halten?

Hat die ganze Familie im Blick?

Wer bespaßt den ganzen Tag die Kinder?

Die Männer, die Vollzeit arbeiten?

Deren Job ja ach so wichtig ist?

Weil er viel mehr Geld nach Hause bringt?

Ist Geld denn wichtiger als unsere psychische Gesundheit?

Warum seid ihr Männer oft so ignorant?

Und ihr Frauen oft so zurückhaltend?

Warum werden die Arbeiten nicht gleichberechtigt aufgeteilt?

Von vorne herein?

Dann müsste vor allem jetzt in so einer Krise nicht nur eine Person alles auffangen.

Beide müssten zurückstecken.

Beide die Care-Arbeit, das Homeschooling und den Haushalt gleichberechtigt bewältigen.

Und nicht nur die Frauen.

Ich bin so froh darüber, dass wir das so machen.

Ich finde die Krise auch so schon schwer zu ertragen.

Wenn ich jetzt auch noch alleine für unsere Kinder zuständig wäre – ich würde durchdrehen.

Dabei haben wir noch nicht einmal schulpflichtige Kinder.

Und in der KITA waren sie bisher auch noch nicht.

Die Fremdbetreuungszeiten bei den Omas und Opas fallen aber weg.

Aber genau diese Zeiten teilen wir uns auf.

Jeder Tag ist geplant.

Mal arbeite ich vormittags.

Mal mein Mann.

Mal andersrum.

Und der/die andere ist für die Kinder zuständig.

Den Haushalt bewältigen wir weiterhin gemeinsam.

So geht es und nichts bleibt nur an einer Person hängen.

Jetzt fragst du dich vielleicht warum ich dann so wütend bin.

Weil es uns doch so gut geht.

Mit der allgemeinen Situation.

Weil wir uns doch alles gleichberechtigt aufteilen.

Ja das frage ich mich manchmal auch.

Und wünschte, die ganze Sache würde mich kalt lassen.

Aber sie tut es nicht.

Weil ich oft auf Unverständnis stoße mit meinen Ansichten.

Weil ich mir meinen Platz als gern arbeitende Frau und gleichzeitig liebende Mutter erkämpfen muss.

Und weil ich andere leiden sehe.

Vor allem Frauen, aber auch Männer.

Die unter dem Patriarchat leiden.

Weil es vorgefertigte Rollen definiert.

Viel unbezahlte Arbeit an den Frauen hängen bleibt.

Und jetzt in der Krise beobachte ich das vermehrt.

Frauen, die nun ihre Arbeit zurückstecken und das Homeschooling betreuen.

Die keine selbstbestimmte Zeiten mehr haben.

Die den ganzen Tag mit ihren Kindern zuhause sitzen.

Und der Mann?

Geht weiterhin zur Arbeit.

Mal außerhalb wie immer.

Mal im Homeoffice.

Bekommt von dem ganzen Stress zuhause so gut wie nichts mit.

Es hat sich ja auch nicht viel für ihn geändert.

Warum genau reduziert die Frau so oft ihre Erwerbsarbeit um die Kinderbetreuung aufzufangen?

Und der Mann denkt nicht einmal darüber nach?

Ich finde es traurig.

Es macht mich wütend.

Und ich frage mich, wann sich endlich mal was ändert.

Wann wir Frauen checken, dass wir nicht biologisch dafür vorgesehen sind, die Kinderbetreuung übernehmen zu müssen.

Wann klar wird, dass Väter nicht die schlechteren Eltern sind.

Wann verstanden wird, dass Frauen nicht automatisch besser bügeln, kochen und putzen können.

Wann Eltern verstehen, dass sie beide wichtig sind für ihre Kinder.

Vorausgesetzt natürlich wenn man das große Glück hat, seine Kinder zu zweit aufwachsen zu sehen.

Und man nicht alleinerziehend ist.

Das ist noch einmal ein anderes Thema.

Ich bin wirklich wütend.

Weil diese Krise zeigt, wie stark wir noch in diesen nicht überdachten Rollenbildern agieren.

Wie sehr das traditionelle Familienbild vorherrscht.

Wie wir noch leben als wären wir in den 1950er Jahren stecken geblieben.

Diese Krise zeigt, wie viel Care-Arbeit wir Frauen alles machen.

Aber wie unabkömmlich wir auch auf dem Arbeitsmarkt sind.

Wer macht denn die ganzen systemrelevanten Jobs?

Wer arbeitet in der Pflege und im Supermarkt?

Hauptsächlich Frauen.

Die Jobs sind immens wichtig.

Systemrelevant.

Und zudem noch unterbezahlt.

So kann es doch nicht weitergehen!

Mach deine Augen auf!

Verändere etwas!

Mache einen Unterschied!

Ich würde mir so sehr wünschen, dass diese Ungerechtigkeit flächendeckend gesehen wird.

Ich wünsche mir, dass die Politik einen immer besseren Blick dafür bekommt.

Ich wünsche mir, dass Arbeitgeber*innen Frauen und Männer gleich behandeln.

Bei der Einstellung nicht davon ausgehen, dass möglicherweise die Frau ausfallen könnte.

Dass es normaler wird, dass der Mann genauso ausfallen kann.

Weil er alleinige Elternzeit nimmt.

Und die Frau wieder arbeiten geht.

Ich wünsche mir eine faire Bezahlung für alle.

Ich wünsche mir, dass wir Frauen uns nicht unter Wert verkaufen.

Denn wir haben einen Wert.

Den gleichen Wert wie jeder andere Mensch.

Die Welt wird derzeit hauptsächlich von Männern regiert.

Als Norm gilt der weiße, heterosexuelle Mann.

Ich wünsche mir, dass sich das ändert.

Dass es keine Norm mehr gibt.

Sondern jede und jeder so sein kann, wie sie/er will.

Ich wünsche mir, dass vor allem auch konservativ religiöse Menschen aufwachen.

Beispielhaft im Christentum.

Weil ich selbst Christin bin.

Und ich mit Schrecken feststelle, dass Christinnen und Christen der Gleichberechtigung noch stärker hinterher hinken.

Frauen, die nicht predigen dürfen.

Die keine Leitungspositionen innehaben dürfen.

Die sich ihrem Mann unterordnen sollen.

Weil es anscheinend so in der Bibel steht.

Es kotzt mich an.

Was ist, wenn der Mann die Familie gar nicht als Oberhaupt leiten will?

Weil es ihm nicht liegt?

Er es nicht mag, Entscheidungen zu treffen?

Was ist, wenn sich die Frau nicht unterordnen kann und will?

Wenn es ihre Stärke ist, zu leiten?

Wie viel Mehrwert könnte denn eine gleichberechtigte Partnerschaft bieten?

Es ist so grausam zu beobachten, wie viel Leid verursacht wird.

Durch irgendwelche biblischen Reglementierungen.

Ich verstehe das alles nicht.

Warum wir nicht mehr unseren Verstand einsetzen.

Warum wir nicht jeden Menschen gleichwertig betrachten.

Es macht mich wütend!

Liebe Frauen, nehmt eure Rechte wahr!

Kämpft dafür und traut euch was!

Liebe Männer, gesteht euch eure Gefühle ein!

Ihr müsst nicht immer nur stark sein!

Ihr seid empathische Menschen!

Lasst uns gemeinsam neu denken.

Unsere Kinder nicht stereotypisch erziehen.

Ein Mädchen kann auch die Baustellenfahrzeuge namentlich kennen.

Und ein Junge kann auch rosa tragen.

Wir sind doch alle gleich!

Alle gleich wertvoll.

Von Gott geliebt.

Egal ob hetero, homo, schwarz, weiß, groß, klein, männlich, weiblich, divers.

Ich wünsche mir, dass meine Wut unnötig wird.

Weil alle verstehen, dass es so nicht weitergehen kann.

Ich wünsche mir, dass Frauen auch an sich und ihr selbstbestimmtes Leben denken.

Dass sie sich finanziell unabhängig machen von ihrem Mann.

Denn man weiß nie, was passiert.

Ob die Ehe irgendwann scheitert.

Der Partner verstirbt.

Wann hat sie auch mal an sich gedacht?

Ich wünsche mir, dass Männer auch an andere denken.

Dass sie Verantwortung übernehmen.

Für sich und ihre Familie.

Nicht nur finanziell.

Dass sie den Mehrwert der Kinderbetreuung sehen.

Ihren Job nicht als vollwertiger erachten als den ihrer Frau.

Ich wünsche mir, dass nicht von vorne herein klar ist, wie die Rollenverteilung aussehen wird.

Dass die traditionelle Art und Weise nur eine von vielen Möglichkeiten ist.

Und nicht die einzig sinnvolle.

Dass alle zufrieden sind.

Ich wünsche mir, dass an der Gleichberechtigung gearbeitet wird.

Wir alle.

Gemeinsam.

2 Kommentare

  • Tabea

    Liebe Esther,

    danke, für deine ehrlichen Worte.
    Gefühle ernst zu nehmen, zuzulassen ist so wichtig. Es ist besser die Wut kommt raus, als dass sie sich anstaut, und wie gut, dass dir das Schreiben hilft. Das kenne ich. Denn andere Auswirkungen einer Wut können sehr schädlich sein und erst dann ist Wut problematisch, bzw. die Folgen der Wut.

    Ich bin nicht wütend über der Situation wie du sie beschreibst. Ich bin gerne Frau und ich bin auch gerne vorwiegend zu Hause bei den Kindern und kümmere mich gerne um das Meiste im Haushalt. Ja, ich erhalte Anerkennung dafür. Mein Mann gibt sie mir. Und er leistet auch sehr viel. Da bin ich noch am Lernen ihm mehr Anerkennung für seine Arbeit zu geben.

    Frauen und Männer sind gleich wertvoll. Das sehe ich auch so. Das sieht auch Jesus so. Er hat Frauen immer wieder geschützt und sie in eine Stellung gehoben, die in der damaligen jüdischen Welt nicht so war. Leider auch viele Jahre danach nicht und auch heute oft noch nicht. Doch ich sehe auch, dass Frauen und Männer nicht gleich sind. Das hat nichts mit der Wertigkeit zu tun. Sie sind eben biologisch doch verschieden. Ein Mann kann nun mal kein Kind austragen und das Kind auch nicht stillen. Das bleibt vorbehaltlos uns Müttern überlassen und ich finde dies ein Vorrecht. Auch bin ich froh, wenn, wie vor kurzem, mein Mann und mein Sohn einen Schrank in ein anderes Stockwerk tragen, denn sie haben nun mal mehr Kraft als ich.

    Leider ist es so, dass es nicht anerkannt wird, dass Erziehung der eigenen Kinder nicht als „Arbeit“ gilt, zumindest nicht als „erwerbstätige Arbeit“. Da sollte sich etwas ändern. Die Mutterrolle nicht so abgewertet werden.

    Mann und Frau sind geschaffen, um sich gegenseitig zu ergänzen, jeder mit seinen besonderen Begabungen und Stärken. Und das auf Augenhöhe.
    Du schreibst, dass in der Bibel steht, dass sich Frauen ihren Männern unterordnen sollen. Ja, das steht da so. Leider wird es meist nur so zitiert und damit aus dem Zusammenhang gerissen und damit ist, gerade in der christlichen Welt, vieles schief gelaufen.
    Die Männer werden nämlich aufgefordert ihre Frauen so zu lieben, wie Jesus die Gemeinde liebt (Epheser 5, 25ff). Das bedeutet, sie dienen ihren Frauen, wollen das Beste für sie, geben sich für sie hin…..Ist dies gegeben, dann ist es nicht schwer, sich dem Mann unterzuordnen. Letztlich ist ein kein unterordnen, wie es meist verstanden wird (als Machtverhältnis), sondern ein liebevolles „einer achte den anderen höher als sich selbst“.

    Ich bin nicht wütend, aber traurig, dass die Mutterrolle so negativ ausfällt und wenig Beachtung findet. Birgit Kelle schreibt dazu ganz neu zur Corona Krise und Mutterrolle hier:

    https://demofueralle.blog/2020/04/29/die-ersetzbare-mutter-ein-mythos-hat-pause/

    Vielleicht ärgert dich dieser Artikel. Ich persönlich finde ihn wertvoll und mutig geschrieben, gerade weil heute die Frau immer mehr nur dann etwas zählt, wenn sie erwerbstätig ist.
    Liebe Grüße an dich, hab dich lieb!

Schreibe einen Kommentar zu Tabea Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.